Da tummeln sich Äffchen neben glücklichen Hippos und Monster neben Zwergen, hier grinst Käpt'n Iglo von der Packung, dort die Biene Maja. Speziallebensmittel für Kinder sind ein lukratives Geschäft und oft vor allem eins: ungesund. Claudia Rawer
Die Regale in den Supermärkten strotzen vor Produkten «speziell für Kinder». Bunte Bilder auf der Verpackung, Aufkleber, Plastikfiguren zum Sammeln und fantasievolle Namen locken schon Dreijährige. Wen wundert's, dass die Kinder quengeln und die Eltern kaufen. Werden die Kleinen durch bunte Bildchen und Fernsehwerbung verführt, glauben Erwachsene oft, ihrem Kind etwas Gutes zu tun. Schließlich versprechen die Produkte «eine Extraportion Vitamine», «gesunde Mineralstoffe», «das Beste aus der Milch» und so weiter. Das sind clevere Werbesprüche und sonst nichts: In Wirklichkeit beeindrucken die Waren meist nur durch grosse Mengen Zucker und Fett.
Erfahrungen zeigen, dass Kinder, die ein paar Mal stark
gezuckerte Speisen gekostet haben, ungesüßte Gerichte ablehnen. So
gerät ihre Ernährung nach und nach zum reinen Zuckerschlecken: Vom
gesüßten Tee im Nuckelfläschchen bis zu zuckerhaltigen
Zwischenmahlzeiten, die den Appetit auf Besseres verderben.
Zwar gibt es keine Sucht nach Süßem im klassischen Sinn, dazu fehlt dem Zucker die euphorisierende Wirkung. Doch der Heisshunger nach Süßem wird immer häufiger konstatiert. Und dass der Genuss von Süßigkeiten oft mit Zuneigung, Anerkennung, Belohnung, Trost oder freudiger Überraschung verbunden ist, macht die Situation auch psychologisch kompliziert.
Stiftung Warentest, die Verbraucherorganisation Foodwatch, «K-Tipp» – sie alle haben Kinderlebensmittel schon unter die Lupe genommen und kommen zu dem einhelligen Schluss: Es handelt sich allzu häufig um als «Kinderprodukt» deklarierte Süßigkeiten und Dickmacher.
Autorin: Dr. Claudia Rawer (9.13)
1. Beispiel: Den Kindern «das Frühstück versüßen» möchte ein Großverteiler mit einem Brotaufstrich aus Himbeermarmelade und Butter, beworben mit einem für kleine Mädchen unwiderstehlichen Kätzchen. Stolz verkündet der Hersteller: «Der Zuckerinhalt stammt lediglich aus der Quelle der Himbeermarmelade.»
Tatsache ist: Der Aufstrich besteht zu 90 Prozent aus Fett und zu 10 Prozent aus Zucker. Kein Wunder, dass sich eine Mutter erleichtert zeigt: «Glücklicherweise findet meine Dreijährige den Aufstrich einfach nur wääähh...».
2. Beispiel: Als «Süßigkeiten mit Müsli-Anstrich» bezeichnet Foodwatch die Frühstücksflocken in den bunten Packungen. In der Tat haben diese mit dem Originalrezept von Bircher-Benner oder einem A.Vogel-Müesli kaum noch etwas zu tun. Schon Mischungen für Erwachsene haben im Durchschnitt einen Zuckeranteil von 20 Prozent. Bei den Kindermüeslis steckten in der Hälfte der untersuchten Produkte sogar 30 Prozent Zucker – das ist mehr als in Butterkeksen. Der Getreideanteil dagegen ist vergleichsweise gering, trotz der Hinweise auf «Vollkorn».
Tipp: Ein selbst gemischtes Müesli aus verschiedenen Getreideflocken, Nüssen und frischen Früchten, mit Joghurt oder Milch, ist allemal die bessere Alternative. Wer auf Fertigmüeslis nicht verzichten möchte, sollte drauf achten, dass «echte» Getreideflocken enthalten sind und wenig Zucker zugesetzt wurde.
Viele sogenannte Kinderlebensmittel sind süß – sehr süß. Die Süße stammt oft aus dem Haushalts- oder Kristallzucker Saccharose, versteckt sich aber auch hinter Bezeichnungen wie Dextrose oder Glukose (Traubenzucker), Fruktose (Fruchtzucker) und Laktose (Milchzucker). Besonders problematisch sind Zusätze von Fruktose in kristalliner Form oder als Sirup.
Auch wenn «Fruchtzucker» doch eigentlich gesund klingt: Diese sehr süße Zuckersorte wird von der Lebensmittelindustrie massiv in verarbeiteten Lebensmitteln eingesetzt. Der Zusatz sorgt für zunehmende gesundheitliche Probleme bei Kindern wie bei Erwachsenen.
Eine normale Portion Fruktose, wie wir sie mit frischen Früchten und Säften zu uns nehmen, für Gesunde kein Problem ist: Der menschliche Körper ist nicht darauf eingestellt, Fruktose in großen Mengen zu verarbeiten. Es kann zu vorübergehenden oder bleibenden Stoffwechselstörungen kommen, der Fruktose-Malabsorption.
Darüber hinaus machen amerikanische Mediziner den übersüßen Zusatz mittlerweile für einen Anstieg von Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, Übergewicht, Bluthochdruck und Infarkten verantwortlich. «Es gibt immer mehr wissenschaftliche Beweise dafür, dass Fruktose etliche chronische Krankheiten auslösen kann und giftig für die Leber ist», schreiben die US-Forscher in ihrer Studie («Nature», 2012). «Ein bißchen Zucker ist zwar kein Problem, aber viel Zucker tötet – wenn auch nur langsam.»
Diese Befürchtungen bedeuten kein generelles Süßigkeiten-Verbot, weder für Kinder noch für Erwachsene. Aber die Zuckerbomben, die als Kinderlebensmittel deklariert werden, sind der Gesundheit ganz sicher nicht zuträglich. Und um Bomben handelt es sich: So enthalten z.B. die meisten der sogenannten «Frühstücksflocken» für Kinder zwischen 30 bis über 40 Prozent Zucker.
Zucker ist ein «leeres» Lebensmittel: Er enthält weder Vitamine noch Mineralien. Als Energielieferant gilt er deswegen, weil die Einfach- und Zweifachzucker schnell aus dem Darm ins Blut (und damit auch ins Gehirn) gelangen. Der Haken dabei: Genauso schnell bauen Muskeln, Gehirn und Leber den Energieschub auch wieder ab. Ist das kurze Hoch vorbei, ist man wieder hungrig. (Nur der Zucker Isomaltulose wird langsam verstoffwechselt.)
Ein Grundschulkind sollte täglich maximal 25 Gramm zugesetzten Zucker essen, das entspricht etwa zehn Stück Würfelzucker. Mehr als das, nämlich fast 29 Gramm, ist schon in einem 300-Milliliter-Getränkefläschchen drin, das die Kinder – sinnigerweise auf Englisch – auffordert «Trink und spiel». Der eingepackte Plastikkram, der natürlich auch gesammelt werden soll, macht das Fruchtsaftgetränk für Kinder attraktiv.
Auch ein verlockend aufgemachter Joghurtdrink «Himbeere» enthält in 100 Millilitern über 13 Gramm Zucker, dafür nicht einmal acht Gramm Himbeeren. Acht (!) Stücke Würfelzucker stecken bereits in einem Becher «Fun- und Action-Joghurt».
Kinderlebensmittel-Hersteller werben oft mit den zugesetzten (künstlichen!) Vitaminen und Mineralstoffen. Das gilt zum Beispiel für 95 Prozent der Frühstücks- und sonstigen Getreideprodukte.
Dabei wird kräftig gepulvert: Über 80 Prozent des Tagesbedarfs eines Erwachsenen an B-Vitaminen ist mit einer einzigen 20- bis 30-Gramm-Portion Cornflakes abgedeckt. Eine Überversorgung mit wasserlöslichen Vitaminen ist zwar nicht unbedingt gefährlich, da der Körper das Zuviel in der Regel einfach wieder ausscheidet – aber sinnlos.
Kleine Tricks bewirken, die zuckrigen Crisps, Pops und Smacks erst recht gesund erscheinen zu lassen: Auf den Packungen ist zwar brav der Nährwertgehalt pro 100 Gramm angegeben. Aber bei vielen Sorten gibt es eine zweite Angabe: Nährwerte pro Portion «mit 125 Milliliter fettarmer Milch». So kommen 30 Gramm Schokoflocken auf 288 Milligramm Kalzium. Der Achtelliter Milch trägt dazu mehr als die Hälfte bei. Das allerdings erfahren nur Eltern, die mit Adleraugen das Kleingedruckte auf der Packung studieren und anschliessend den Taschenrechner zücken.
Ab einem Jahr gelten für eine ausgewogene Ernährung bei Kindern die gleichen Regeln wie bei Erwachsenen: viel frisches und buntes Gemüse und Obst; Milchprodukte, Eier, Nüsse, Fleisch, Fisch und Tofu in kleineren Mengen. Energie tanken sollten auch Kinder vorzugsweise aus komplexen Kohlenhydraten, wie sie vor allem in Vollkorngetreide, Gemüse, Kartoffeln, Nudeln und Reis enthalten sind. Der beste Durstlöscher ist Wasser.
Tipp: Gewöhnen Sie Ihre Kinder von vorneherein an den natürlichen Geschmack frischer Lebensmittel – nicht an übersüsste, zu salzige, zu fettige und künstlich aromatisierte Fertigprodukte.
... auch spezielle Milclprodukte sind nicht notwendig
Kinder brauchen auch keine speziellen Milchprodukte. Abgesehen vom Zucker enthalten die bunten Mini-Packungen oft viel Fett, da sie aus Vollmilch (3,5 Prozent Fett) oder aus Frischkäse (6 bis 9 Prozent) hergestellt werden. Dazu kommen häufig reichlich Farb- und Aromastoffe. Der Fruchtanteil dagegen ist eher klein.
Schokoriegel und Milchschnitten werden zwar auch als besonders empfehlenswert für Kinder beworben, sind aber nichts anderes als Süßigkeiten. Ein Schweizer «Milch»-Riegel mit Schokolade beispielsweise enthält (in einer 30-Gramm-Packung) 10,3, Gramm Zucker (34 Prozent) und 8,8 Gramm Fett (29,3 Prozent), davon 5,6 Gramm ungesunde gesättigte Fette. Das Drei-Happen-Teil hat 135 Kalorien.
Tipp: Bieten Sie Ihren Kindern Naturjoghurt, Quark oder Dickmilch mit frischem Obst und Beeren an. Muss es ein Naschriegel sein, machen Sie deutlich, dass es sich dabei um eine Süßigkeit handelt, nicht um eine «Extraportion Milch». Auch Pudding ist ein Dessert und keine gesunde Zwischenmahlzeit.
Sogenannte Erfrischungsgetränke enthalten oft einen nicht nennenswerten Fruchtanteil, dafür aber viel Zucker, unnötigerweise zugesetzte künstliche Vitamine sowie Farbstoffe. Milchmixgetränke zitieren fast immer die «Extraportion Kalzium», sind aber durch den üppigen Zuckeranteil als Durstlöscher ebenso ungeeignet. Der regelmässige Konsum von gezuckerten Softdrinks ist schlecht für die Zähne und erhöht das Diabetesrisiko.
Tipp: Kinder trinken am besten Wasser sowie Kräuter- und Früchtetees. An heißen Tagen sind selbstgemachter Eistee oder gekühlte Schorles der Hit. Reine Fruchtsäfte (keine Nektare oder Fruchtsaftgetränke) enthalten auch Zucker, aber wenigstens natürlichen Fruchtzucker und nicht zugesetzte, aus Stärke gewonnene Fruktose. Verdünnt (ein Teil Saft, drei Teile Wasser) sind auch sie gute Durstlöscher.
Mit Vitamin B, C, Kalzium oder Eisen angereicherte Lebensmittel und Getränke sind für gesunde Kinder völlig überflüssig.
Tipp: Verwöhnen Sie Ihre Kinder jeden Tag mit abwechslungsreichen, nach Möglichkeit selbstgekochten Mahlzeiten aus frischen Zutaten. Damit bekommen sie alle Nährstoffe, die sie für ihre Entwicklung brauchen.
Gesunde Zwischenmahlzeiten sind zum Beispiel Gemüsesticks, «Knabbergemüse» wie Cocktailtomaten, Snack-Gurken oder Mini-Paprika (Peperoni), Käsewürfel oder Joghurt mit Beeren.