Haben herzkranke Frauen schlechtere Karten als Männer mit den gleichen Herzproblemen? Sind die Symptome und Beschwerden verschieden? Wirken manche Medikamente anders? Ja, sagt die moderne Geschlechterforschung in der Medizin.
Die Pharma- und Medizinforschung prüft in aufwändigen und teuren Studien die Wirkungen und Nebenwirkungen neuer Arzneien. Früher waren dabei überwiegend Männer der Massstab, Frauen spielten nur eine Nebenrolle. Dadurch kann die Behandlung von Frauen erschwert, ja sogar unmöglich werden.
Daher verfügte das deutsche Gesundheitsministerium 2004, Frauen sollten in klinischen Studien «angemessen» vertreten sein. Endlich setzte sich die Auffassung durch, es sei keineswegs sicher, dass die Erkenntnisse aus Männer-Studien auf Frauen übertragbar sind. Trotzdem hegen Fachleute immer noch berechtigte Zweifel, ob geschlechtsbezogene Unterschiede tatsächlich ausreichend erforscht, ausgewertet und berücksichtigt werden.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bei Frauen die häufigste Todesursache – noch vor Brustkrebs. Doch erst seit wenigen Jahren wird über Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Herzmedizin intensiv diskutiert. 2004 hatte eine grosse europäische Erhebung zu Herzkrankheiten («Euro Heart Survey») belegt, dass Frauen bei Herzkrankheiten allzu oft den Kürzeren ziehen.
Sie wurden weniger sorgfältig untersucht, später behandelt und in die Klinik gebracht, weniger intensiv mit Medikamenten versorgt und auch seltener operiert als Männer. Frauen erhalten viel seltener lebensrettende Katheteruntersuchungen und sind auch bei Reha-Massnahmen unterrepräsentiert.
«Bei gleicher Herzerkrankung werden Frauen nicht gleich gut behandelt», konstatiert Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, die an der Charité in Berlin den ersten deutschen Lehrstuhl für Frauengesundheitsforschung innehat.
Gerade in der Behandlung von Herz-Kreislauf-Krankheiten zeigen sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern deutlich. Denn Frauen reagieren auf viele Herzpräparate anders – bei gleicher Erkrankung.
Die oft vorbeugend verordnete, niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS) macht das Blut flüssiger, hemmt das Verklumpen von Blutplättchen (Thrombozyten) und soll so die gefährliche Verstopfung von Gefässen verhindern.
In der Sekundärprävention von Herzgefässerkrankungen ist die Wirkung von ASS für Männer und Frauen gleichermassen gut. Der Stellenwert für ASS in der Primärprävention ist weniger klar. Insbesondere Frauen unter 65 Jahren scheinen kaum zu profitieren – das Herzinfarktrisiko verringert sich praktisch nicht.
Frauen reagieren auch anders auf Digitalispräparate bzw. Herzglykoside, die zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen und Herzschwäche eingesetzt werden. Mittlerweile ist bekannt, dass Frauen mit Herzinsuffizienz unter einer Digitalis-Therapie häufiger sterben als Männer mit der gleichen Erkrankung. Warum das so ist, ist nicht völlig geklärt.
Von
ACE-Hemmern (Arzneistoffe, die in der Therapie des Bluthochdruckes und
der chronischen Herzinsuffizienz Anwendung finden) haben Frauen weniger
Nutzen, leiden jedoch häufiger unter unerwünschten Nebenwirkungen als
Männer.
So anerkannt die Forderung nach einer geschlechtsbezogenen Forschung in weiten Kreisen ist, so schleppend ist ihre Umsetzung. Das erste Zentrum für Ge-schlechtermedizin in Europa gründete Anfang der 90er Jahre – gegen viele Widerstände – die Kardiologin Prof. Dr. Karin Schenck-Gustafsson. Ihre Einrichtung ist an der renommierten Karolinska Universität angesiedelt.
Das «Institut für die Geschlechterforschung in der Medizin» unter der Leitung von Prof. Dr. Vera Regitz-Zakrosek besteht seit Ende 2003 und ist an die Klinik Charité angebunden. Die Zentren in Stockholm und Berlin sind die einzigen in Europa.
Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die
geschlechtssensible medizinische Forschung nicht nur Frauen bessere
Möglichkeiten eröffnet, sondern auch den Männern zugute kommt.
Bei Frauen vor den Wechseljahren sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen selten – ausser sie schlagen sich mit mehreren Risikofaktoren herum. Grund hierfür sind die weiblichen Östrogene. Sie stellen in aller Regel einen biologischen Schutz vor Gefässerkrankungen dar. Daher treten Herz-Kreislauf-Probleme gehäuft erst nach der Menopause auf.
Das «tödliche Quartett» aus Übergewicht, Bluthochdruck, Zuckerkrankheit und hohen Cholesterinwerten ist der Risikofaktor Nummer Eins für Männer und Frauen. Frauen können jedoch von einzelnen Risikofaktoren stärker betroffen sein.
Das gilt vor allem für die Zuckerkrankheit Diabetes mellitus Typ 2. Diabeteskranke Frauen haben, verglichen mit diabeteskranken Männern, ein dreifach erhöhtes Risiko, eine Herzkreislauf-Erkrankung zu erleiden.
Gleiches beim Rauchen: Die im Zigarettenrauch enthaltenen Substanzen verengen die Gefässe und lassen den Blutdruck ansteigen. Raucherinnen, die die Pille einnehmen, erhöhen ihr Herz-Kreislauf-Risiko zusätzlich. Sie müssen ganz besonders darauf achten, keine weiteren Risikofaktoren «anzusammeln».
Auch für die Psyche gilt: Seelische Strapazen scheinen bei Frauen eine grössere Rolle für das Infarktrisiko zu spielen als bei Männern. Weniger die Doppelbelas-tung in Familie und Beruf scheint sich negativ auszuwirken, als vielmehr dauerhafter Stress und unbewältigte Probleme. Auch Depressionen, Frust und Ärger belasten Frauenherzen stärker.
«Im Bereich der Herzkreislauferkrankungen haben wir das Problem, dass Risikofaktoren bei Frauen weniger aggressiv behandelt werden als bei Männern», so Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek.
«Frauen, die eine koronare Herzerkrankung und Diabetes haben – die also Hoch-risikopatientinnen sind – und bei denen Blutfette z.B. besonders sorgfältig eingestellt werden müssten, erreichen sehr viel seltener als Männer ihre Zielwerte. Sie erhalten weniger hochwirksame Arzneimittel, um die Blutfette zu senken.»
Bekannt-berüchtigt als Managerkrankheit, galt der Herzinfarkt lange Zeit als typische Männersache. Inzwischen haben die Frauen kräftig aufgeholt, doch sind sie sich dessen überhaupt nicht bewusst: Laut einer Emnid-Umfrage 2004 betrachteten 61 Prozent der befragten Frauen, den Herzinfarkt als typisch männliches Problem und vier von fünf Frauen gingen davon aus, dass sie die gleichen oder sogar bessere Chancen haben, einen Infarkt zu überstehen. Ein fataler Irrtum: Tatsächlich sind ihre Überlebenschancen deutlich geringer.
Der Hauptgrund für die höhere Sterblichkeit von Frauen sind die eher untypischen Infarkt-Anzeichen. Männer spüren eine grosse Beklemmung und starke Schmerzen in der linken Brust, die in den Arm ausstrahlen können.
Die besonderen Symptome des weiblichen Infarktes hingegen sind immer noch zu wenig bekannt. Die als typisch geltenden Beschwerden treten bei Frauen vielfach gar nicht auf.
Sie klagen eher über Herzstolpern, Atemnot, Schmerzen im rechten Brustbereich, Oberbauch-, Nacken- und Schulterschmerzen; auch Schweissausbrüche, Übelkeit und Erbrechen sind häufig. Eine Studie aus dem Jahr 2003 ergab: 70 Prozent der Infarktpatientinnen klagen über Müdigkeit, 48 Prozent haben Schlafstörungen, 42 Prozent sind kurzatmig, 39 Prozent berichten über Magenbeschwerden. Nicht selten sind Luftnot, Übelkeit, Schmerzen im Oberbauch oder Erbrechen die einzigen Symptome eines Herzinfarkts bei Frauen.
Da die Symptome weniger charakteristisch sind als bei Männern, werden die Beschwerden oft falsch gedeutet – sowohl von den Betroffenen als auch von den Medizinern. Bis die Notfallnummer gewählt und die Patientin in eine Klinik eingeliefert wird, vergeht zu viel überlebenswichtige Zeit. Als Folge ärztlicher Fehleinschätzung bekommt im Krankenhaus nur jede dritte Frau den dringend notwendigen Herzkatheter. (Katheteruntersuchungen sind bei Frauen vielfach komplizierter, da ihre Herzkranzgefässe einen geringeren Querschnitt haben und viel geschlängelter sein können.)
So kann es geschehen, dass es für beinahe jede fünfte Frau – so eine Studie der Ärztekammer Berlin – letztlich zu spät ist, sie stirbt noch im Krankenhaus.
Auch Herzinsuffizienz bei der Frau ist nicht gleich Herzschwäche beim Mann: Männer haben überwiegend eine Störung der Pumpfunktion, d.h. das Herz pumpt das Blut nicht ausreichend vorwärts. Bei Frauen kommt häufiger eine Störung der Füllung des Herzens vor, d.h. das Herz dehnt sich nicht richtig.
Tatsache ist aber, dass Männer und Frauen mit
Herzschwäche unterschiedlich häufig mit der richtigen Methode, nämlich
einem Echokardiogramm, untersucht werden. Dabei wird das Herz in Ruhe
sowie unter körperlicher Belastung mittels Ultraschall überprüft. Die
Aufnahmen geben dem Experten Aufschluss, ob und wie die Durchblutung des
Herzmuskels beeinträchtigt ist. Diese Methode ist bei Männern Standard
zur Diagnostik einer Herzschwäche – bei Frauen nicht.
Kommt
hinzu, dass die Suche nach verengten Herzkranzgefässen oft selbst dann
ergebnislos bleibt, wenn die Frauen über Anfälle von Angina Pectoris
(Brustenge) klagen. Die anfallsartigen, schmerzhaften
Durchblutungsstörungen beruhen im Allgemeinen auf arteriosklerotisch
veränderten Herzkranzarterien, was durchaus in einen Infarkt münden
kann. Da sich solche Durchblutungsstörungen bei Frauen oft nicht
nachweisen lassen, wurden ihre Herzbeschwerden lange Zeit für
unbedenklich gehalten, etliche Mediziner sprachen gar vom «lügenden
Frauenherzen». Zudem klagen viele Frauen weniger über Brustschmerzen als
über Müdigkeit, Kurzatmigkeit und Magenbeschwerden. Doch wie aus
neueren Untersuchungen hervorgeht, hat man die Bedrohlichkeit der
weiblichen Angina pectoris, die Frauen über 75 Jahre am häufigsten
betrifft, unterschätzt.
Eine Forschergruppe der Universität des Saarlandes veröffentlichte im Januar 2009 eine Studie über die Behandlung von Männern und Frauen, die an Herzinsuffizienz leiden. Ihr Fazit: Ärztinnen nehmen sich nicht nur mehr Zeit und zeigen mehr Interesse für die psychosoziale Situation, sondern verordnen sowohl ihren Patientinnen als auch ihren Patienten die erforderlichen Medikamente in der richtigen Dosierung. Männliche Ärzte hingegen neigen dazu, Frauen sowohl in der Wahl der Arzneimittel als auch in deren Dosierung zu benachteiligen.
Die schlechte Prognose für Frauen mit Herzinfarkt kann nur durch eine intensive Aufklärung verbessert werden. Aufklärung hilft auch den Angehörigen: Sie rechnen nicht mit einem Herzinfarkt, vermuten aufgrund der Symptomemanchmal eine Magenverstimmung und rufen keinen Notarzt.
Tatsache ist, dass die Chancen auf eine schnelle Behandlung für Männer auch deswegen besser sind, weil ihre Partnerinnen auf die bekannten Anzeichen rasch reagieren.
• Autorin: Ingrid Zehnder