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Meerrettich

Scharfe Wurzel Meerrettich

Meerrettich: Scharfe Wurzel

Wo Meerrettich zuhause ist

Um es gleich vorweg zu sagen: Die Schweiz ist kein Meerrettichland. Zwar bekommt man im Winter frische (importierte) Stangen und das ganze Jahr über Konserven, doch in der bürgerlichen Küche hat diese besondere Würze keine Tradition. Vielfach kennt man Meerrettich nur als Beilage zu Räucherlachs, und selbst dazu gibt es Fertigprodukte («Meerrettich-Mousse»), die so gesüsst sind, dass Liebhaber der Meerrettichschärfe das Weite suchen.

Meerrettich gehört, wie Rettich, Senf, Kapuzinerkresse und Kohl, zur Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae). Die Pflanze stammt aus Osteuropa, Südrussland und der Ukraine und war schon in der Antike bekannt. Ein Wandgemälde, das in den Ruinen des 79 n. Chr. verschütteten Pompeji entdeckt wurde, zeigt Flora, die römische Göttin der Blüten, mit ihrem Füllhorn und einer blühenden Meerrettichpflanze.

In einigen Gegenden Deutschlands, Österreichs (Steiermark), Polens und Ungarns wird Meerrettich in grösserem Stil angebaut. Kleinere Anbaugebiete für «Pepparoten» (Pfefferwurzeln) gibt es in Schweden in der Nähe Göteborgs, in Dänemark und England.

In Deutschland sind Mittel- und Oberfranken (Bayern), Baden und Spreewald die Zentren, aber auch im Raum Hannover, Erfurt und Hamburg gibt es Anbauflächen.

Weltweit wird Meerrettich noch in China angebaut, und selbst in Südafrika und Südaustralien soll es Felder geben.

Die Meerrettich-Hochburg sind jedoch die USA. In der «Horseradish Capital of the World» (Meerrettich-Hauptstadt der Welt) Collinsville (Illinois) und ihrem Umland am Mississippi werden 85 Prozent des weltweiten Marktvolumens produziert.

Namenswirrwarr

Meerrettich (Armoracia rusticana) hat viele volkstümliche Namen: Pferderettich, Pfefferwurzel, Bauernsenf, Rachenputzer, Grien, Kree (in Franken) oder Kren (in Bayern und Österreich). Darüber, wo der Name Meerrettich herkommt, gibt es viele Deutungen: von Meer (weil er vom Meer herübergekommen sei), von mehr (weil er größer als ein Rettich ist) oder von Mähre (weil er einem alten Pferd ein langes Leben verspricht).

Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass die scharfe Wurzel in der Naturheilkunde bei Pferden zur Vorbeugung und Heilung von Grippe, Pferdehusten, Verschleimungen und Zahn-/Kieferinfektionen eine wichtige Rolle spielt.

Penicillin aus dem Garten

Lange bevor Meerrettich als Würzpflanze genutzt wurde, begann seine Laufbahn als Heilpflanze. Schon im alten Ägypten und China als Heilmittel bekannt, wurde die Pflanze im Mittelalter in Europa ein angesehenes Heilmittel: gegen Gelbsucht, Erkrankungen der Atemwege und Skorbut. Früh erkannt wurden wohl auch ihre bakterien-, pilz- und virenhemmenden Eigenschaften, selbst wenn erst Forschungen des letzten Jahrhunderts ermöglicht haben, die Wirkmechanismen zu verstehen.

Meerrettich enthält die Vitamine B1, B2, B6 und viel Vitamin C sowie die Mineralstoffe Kalzium, Eisen, Kalium, Magnesium und Phosphor.

Die besonderen Inhaltsstoffe sind jedoch die ätherischen Senföle bzw. deren Vorstufen, die Glucosinolate Sinigrin und Gluconasturtiin. Bei Verletzungen des Gewebes – sei es durch Pflanzenfraß oder in der Küche – entstehen durch das Enzym Myrosinase die stechend riechenden und scharf schmeckenden Senföle, die im menschlichen Körper eine breite antibakterielle Wirkung zeigen. Daher wird das natürliche Antibiotikum Meerrettich auch als «Penicillin aus dem Garten» bezeichnet.

Senföle wirken ausgezeichnet bei bakteriellen und viralen Atemwegs- und Harnwegsinfekten und haben den Vorteil, gut verträglich zu sein und keine Resistenzen zu bilden. Sie schädigen die Darmbakterien nicht  und stärken daher indirekt unsere Abwehrkräfte. Senföle töten nicht nur Bakterien und Viren, sondern wirken auch gegen Pilze (Candida-Arten) und Hefen.

  • Ein altes Hausrezept bei Husten mit zähem Bronchialschleim sowie Blasenentzündung ist Meerrettich-Honig: Ein Stück frische Wurzel reiben und mit derselben Menge Honig vermengen. Dreimal täglich 1 Teelöffel einnehmen.

Als Umschlag wird Meerrettich äußerlich bei Rheuma, Gicht, Ischias und anderen Nervenschmerzen als Gegenreiz eingesetzt, was zur vermehrten Durchblutung der Haut sowie Linderung der Schmerzen und der Entzündung führt. Man legt frisch geriebenen Meerrettich zwischen zwei Tücher und lässt den Umschlag etwa 10 Minuten einwirken.

Winterliche Gesundheits- und Genusskur

Was im Frühling der Bärlauch ist, kann im Winter der Meerrettich sein. In geringen Mengen, dafür möglichst zwei, drei Wochen lang jeden Tag, roh zubereitet und nach Belieben und Gusto kombiniert, verspricht er nicht nur vielfältigen Genuss, sondern beugt auch Infektionen vor und wappnet das Immunsystem.

Alfred Vogel empfahl ihn zur Anregung der «Körperpolizei»: «Meerrettich wirkt sich äußerst günstig  auf die Lymphe aus, so dass man ihn als eines ihrer besten Heilmittel bezeichnen kann. Oft verschwinden hartnäckige Störungen und Leiden der Lymphe, wenn man täglich 1 Teelöffel davon einnimmt. Er schmeckt vorzüglich, insofern man ihn unter den Quark oder den geraffelten Karottensalat mengt, da seine Schärfe durch das Mischen gebrochen wird.»

Meerrettich zubereiten

Das pfeffrige Feuer des Meerrettich fährt wie ein Blitz in die Nase und treibt die Tränen in die Augen. Doch was macht das schon: frisch geriebener oder mit einem scharfen Messer entlang der Wurzel abgeschabter Meerrettich schmeckt einfach köstlich. Kein noch so sorgfältig hergestelltes Produkt im Glas oder in der Tube kann frischem Kren Konkurrenz machen.

Die Nasendurchlüftung, das Augenwasser und das geschmackliche Feuer verdanken wir den Senfölen. Da sie sich schnell in Luft auflösen, darf man Meerrettich nur so weit wie nötig schälen (schaben) und erst kurz vor der Verwendung zerkleinern.

Bereitet man ihn zu lange vor, besteht nicht nur die Gefahr des Geschmacksverlusts, die schöne weiße Farbe kann auch zum Bräunlichen hin tendieren. Als Vorbeugung gegen die Oxidation wird oft das Zufügen von Zitronensaft oder Essig empfohlen. Ich persönlich bin keine Freundin davon, denn die Säure kann das unvergleichliche Aroma verfälschen.

Meerrettich in der Küche

Fleisch:
Üblicherweise wird Meerrettich zu Fleisch empfohlen: kein Tafelspitz ohne Apfel-Kren, kein Wild ohne Preiselbeer-Meerettich-Sahne, kein kaltes Roastbeef ohne einen Klacks geriebene Pfefferwurzel, kein Siedfleisch ohne rohen Bauernsenf oder Meerrettichsauce. Selbst ein Rindsfilet bekommt mit frisch geraspeltem Meerrettich den besonderen Kick.

Fisch:
Nicht nur zu geräuchertem Lachs und Forellenfilets, Rauchaal oder Thunfisch-Carpaccio ist frischer Meerrettich unverzichtbar; Saibling, Steinbutt, Seelachs, Rotbarsch oder Zander harmonieren ebenfalls hervorragend mit dem scharfen Gewürz.

Ein Fischeintopf oder Geflügel-Pot-au-feu mit Kartoffeln, Lauch und Wurzelgemüse wird durch roh geriebenen Meerrettich besonders delikat.

Vegetarisch:
Auch die vegetarische Küche hat aparte Möglichkeiten: Meerrettich passt zu Frischkäse, Quark, hartgekochten Eiern; frische Meerrettichraspeln geben Salaten aus Kartoffeln, Rote Beete, Karotten, Chicorée, Nüssli-(Feld-)salat oder Rucola den letzten Pfiff.

Kartoffelsuppe, Sellerie-Kartoffelpüree, gedämpfter Rosen- und Grünkohl wird mit einer guten Portion geriebenem Meerrettich gekrönt.

Kocht man Meerrettich längere Zeit mit, verändert sich sein Geschmack – von scharf zu nussig-mild, wie die einen sagen, von temperamentvoll zu fad, wie manch andere meinen. Deshalb sollte man ihn zu warmen Gerichten wie Suppen und Saucen erst im letzten Moment zufügen.

In einigen katholischen Gegenden (z.B. Bayern, Österreich, Polen) reicht man dünne Scheiben von frischem Meerrettich zum traditionellen Osterfrühstück. Meerrettich gehört auch zum jüdischen Pascha-Mahl am Ostersonntag.

Meerrettich auf dem Feld und im Garten

Die frostharte Pflanze wird über Wurzelstücke vermehrt, denn aus den weißen, stark duftenden Blüten entwickeln sich zwar winzige, schötchenartige Früchte, die jedoch oft keine Samen enthalten.

Professioneller Meerrettichanbau ist enorm arbeitsintensiv. Ein alter Bauernspruch sagt: «Ein Acker mit Kren will seinen Herrn jeden Tag sehn.» In der Tat verlangt ein Meerrettichfeld viel Handarbeit und sechsmal mehr Arbeitstunden als ein Kartoffelfeld. Im Frühling werden die Fechser (kleine Seitenwurzeln) schräg in die gut gelockerte Erde eingepflanzt. Damit sich eine starke, wenig verzweigte, gerade Wurzel bildet, müssen die Pflanzen während der Wachstumsperiode von Hand mehrmals «angehoben» und von den Fechsern befreit werden. Geerntet wird September/Oktober bis Februar.

Im Garten kann der mehrjährige Meerrettich zur Plage werden. Gutmeinende nennen die Pflanze ausdauernd, gebrannte Gärtner bezeichnen sie als unausrottbar. Sie wuchert stark und schneller als den meisten lieb ist; aus dem kleinsten im Boden verbleibenden Wurzelstück bildet sich eine neue Pflanze.

Wenn Sie Platz haben und es wagen wollen, besorgen Sie sich kleine Seitenwurzeln oder schneiden Stücke von einer gekauften Meerrettichwurzel ab und setzen sie im frühen Frühjahr an einer sonnigen bis halbschattigen Stelle etwa 10 bis 15 Zentimeter tief in die Erde.

Der japanische Meerrettich (Eutrema japonica bzw. Wasabia japonica), auch grüner oder Wassermeerrettich, ist schärfer als unser Meerrettich; genau gesagt: höllisch scharf und nur in Mini-Portionen genießbar.

Die Wildform kommt nur in den kühlen Bergwäldern Japans und auf der russischen Insel Sachalin vor. Sie ist schwer kultivierbar, da sie fließendes Wasser zum Gedeihen braucht. Industriell angebaut wurde Wasabi früher nur auf der Izu-Halbinsel, einem Teil der Insel Honshu, südwestlich von Tokio. Dort werden die Pflanzen in Gewächshäusern zwischen wassergekühlten Steinen herangezogen. Inzwischen hat man auch in China, Taiwan, Korea, USA und Neuseeland gelernt, die Zucht erfolgreich zu betreiben.

Entfernte Verwandte

Zwar gehört Wasabi auch zur großen Familie der Kreuzblütler, hat aber botanisch wenig Ähnlichkeit mit Armoracia rusticana. Der senkrecht wachsende Wurzelstock trägt herzförmige Blätter. Wasabipflanzen stellen hohe Ansprüche an das Klima: Sie brauchen Temperaturen zwischen 8 °C und 20 °C und vertragen kein direktes Sonnenlicht.

Das Fleisch der Wurzel ist hellgrün, seine Senföle sind etwas anders zusammengesetzt als bei Meerrettich, was die Wasabischärfe einzigartig macht.

Das kostbare Original …

Wasabi aus traditionellem Anbau in Bergbächen ist sehr teuer, selbst das kommerzielle Produkt aus Hydrokultur ist nichts für kleine Geldbeutel. Japaner sagen, die frisch geriebene Wurzel sei das Nonplusultra. (Sie ist übrigens außerhalb der Anbaugebiete kaum zu bekommen.) Das Zweitbeste ist die Paste bzw. das Pulver aus der Wasabiwurzel. Das Pulver wird mit einer gleichen Menge heißem Wasser zu einer Paste angerührt. Hier ist gutes Timing wichtig: Das Aroma und der scharfe Geschmack brauchen etwa 10 Minuten, um sich optimal zu entwickeln. Nach einer halben Stunde ist der Höhepunkt überschritten, die geschmackgebenden Senföle verflüchtigen sich nach und nach.

… und seine minderwertige Imitation

Der bei uns meist erhältliche «grüne Meerrettich» trägt seinen Namen völlig zu Recht. Denn was man in vielen Geschäften und asiatischen Restaurants als «japanischen Wasabi» bekommt, ist nichts anderes als Meerrettichpulver oder -paste, geschärft mit Senf, grün gefärbt mit Hilfe der Spirulina-Alge, Chlorophyll oder E-Lebensmittelfarben. Während man für 30 Gramm echtes Wasabipulver über 100 Euro auf den Tisch blättern muss, bekommt man die Nachahmung schon für 2 bis 3 Euro.

Autorin: Ingrid Zehnder