Sekundäre Pflanzenstoffe sind raffinierte und vielfältige Verbindungen mit hohem Gesundheitswert. Die bunten Stöffchen im Überblick, die wichtigsten Wirkungen unter der Lupe. Autorin: Claudia Rawer, GN.5/13
Sage noch einer, es gebe nichts Neues mehr. Vor
zwanzig Jahren sprachen allenfalls Wissenschaftler
von sekundären Pflanzenstoffen, heute sind sie
in aller Munde. Vor zehn Jahren kannte man etwa
30 000 dieser chemischen Verbindungen, heute
schon 100 000 (von denen 5000 bis 10 000 in der
menschlichen Nahrung vorkommen).
Obwohl das
Carotin bereits 1831 als erster sekundärer Pflanzenstoff
entdeckt wurde, schenkte man den bioaktiven
Substanzen lange wenig Beachtung, bis sich die
Studien mehrten, die einzelnen oder Gruppen dieser
Stoffe Bedeutung für die Gesundheit und Schutz vor
Erkrankungen zuschrieben.
Die Rede ist von Polyphenolen, Glukosinolaten, Phytoöstrogenen
& Co. Lange Zeit wurde ihre Bedeutung
für den Menschen nicht erkannt, vielmehr galten die
Stoffe als nutzlos, da sie weder Energie liefern noch –
wie Vitamine – lebensnotwendig sind. Die Substanzen
fielen eher unangenehm auf: Glukosinolate verleihen
Kohlsorten, Rettich, Meerrettich und Senf einen etwas bitteren Geschmack – den versuchte man mühsam
wegzuzüchten.
Die Phytoöstrogene wurden nur
entdeckt, weil australische Farmer eine unerklärliche
Unfruchtbarkeit bei ihren Klee fressenden Schafen
bemerkten. Und Saponine machten sich unbeliebt,
weil sie beim Kochen von Hülsenfrüchten für den
blasigen, seifigen Schaum sorgen.
Heute weiß man: Viele sekundäre Pflanzenstoffe
haben hohen Gesundheitswert für den Menschen.
Sie nehmen Einfluss auf unser Immunsystem, können
Blutdruck und Cholesterin senken, wirken antimikrobiell,
antientzündlich und krebsvorbeugend.
Anders als die Hauptbestandteile der Pflanze, Kohlenhydrate,
Fette und Eiweisse, kommen die sekundären
Pflanzenstoffe nur in kleinen Mengen und in bestimmten
Pflanzen vor. Sie sind für die Pflanze nicht
unbedingt überlebenswichtig. Zentrale ökologische
Aufgaben aber haben sie sehr wohl: Sie machen
Blüten und Früchte bunt, duftend und aromatisch
und locken so Bestäuber und Samenverbreiter an.
Sie machen bitter oder scharf und vergrämen damit
Fressfeinde. Sie schützen die Pflanze vor Krankheitskeimen,
UV-Strahlung, Starklicht und Verdunstung.
Etliche sekundäre Pflanzenstoffe wirken antioxidativ,
d.h. sie hindern sogenannte freie Radikale daran, sich
mit anderen Molekülen zu verbinden und unsere
Zellen zu schädigen.
Freie Radikale sind unbeständige Sauerstoffverbindungen,
die bei der Zellatmung entstehen, aber auch
durch andere Einflüsse in den Körper gelangen: durch
Abgase, Alkohol, mit Schadstoffen belastete Nahrung,
zu fett- und zuckerreiche Ernährung, Röntgenaufnahmen,
UV-Strahlung und Zigarettenrauch beispielsweise.
Sie gelten als Mitverursacher von Erkrankungen
wie Arteriosklerose, Alzheimer, Diabetes, Krebs und
Rheuma. Der Körper hat eigene chemische Systeme,
diese aggressiven Teilchen schnell unschädlich zu
machen; Antioxidanzien aus der Nahrung können
dabei unterstützend wirken.
Neue Konzepte gehen allerdings davon aus, dass
sich Antioxidanzien und Radikale die Waage halten
sollten.
Denn Radikale haben auch positive Eigenschaften:
Sie werden für Stoffwechselreaktionen
gebraucht, schützen den Körper vor Bakterien und
möglicherweise vor Diabetes.
Jubelmeldungen im Stile von «Rotwein gegen
Alzheimer» oder «Schokolade gegen Herzinfarkt»
sollte man kritisch gegenüberstehen. Zum einen
werden so häufig Forschungsergebnisse aufgebauscht,
die noch in den Kinderschuhen stecken, zum
anderen sind viele Wirkungen erst im Reagenzglas
oder an Mäusen nachgewiesen. Daraus lässt sich,
wenn überhaupt, nur indirekt eine Bedeutung für
die menschliche Gesundheit ableiten.
Auf der folgenden Seite sind deshalb nur Wirkungen aufgeführt,
die Fachleute für erwiesen oder zumindest
wahrscheinlich halten. Etliche weitere gesundheitliche
Effekte der Stoffe werden vermutet, sind bislang
aber noch nicht ausreichend belegt.
Mit der Nahrung nehmen wir täglich etwa 1,5 Gramm sekundäre Pflanzenstoffe auf, Vegetarier kommen auf mehr, Fast-Food-Esser auf weniger.
Die vielen positiven
Eigenschaften legen es ja nun fast nahe, zum
Schutz vor Herzinfarkt und Krebs möglichst viel davon
zuzuführen. Aber für sekundäre Pflanzenstoffe gilt
das Gleiche wie für andere «gesunde» Substanzen:
Nur bei der Aufnahme aus frischen Lebensmitteln
gibt es kein Zuviel. Von angereicherten Lebensmitteln
oder gar Präparaten mit isolierten Pflanzenstoffen
raten Ernährungswissenschaftler energisch ab. So ist
z.B. Margarine mit cholesterinsenkenden Pflanzensterinen
für Gesunde tabu.
Nur der natürliche Stoff hat die gewünschte Wirkung.
So war z.B. in einer Studie das Lungenkrebsrisiko bei
Rauchern erhöht, wenn sie mehr als 20 Milligramm
künstliches Beta-Carotin zu sich nahmen.
Nur im natürlichen Gefüge von pflanzlichen Lebensmitteln wirken die Stoffe positiv auf die Gesundheit. Alfred Vogel wusste schon, warum er sagte, dass jede Pflanze ein von der Natur gegebenes Rezept ist. An diesen Rezepten sollten wir nicht herumpfuschen: Gut versorgt mit den Pflanzenstoffen ist, wer reichlich Gemüse und Obst auf den Teller lädt, verschiedenfarbige Sorten wählt und jeden Tag fünf Portionen (Handvoll) davon isst. Eine Ergänzung oder Supplementierung ist dann nicht notwendig.
All die komplizierten Namen und Theorien kann man jedoch getrost vergessen, wenn man es sich zur Regel macht sich möglichst bunt quer durch das Gemüsebeet
zu essen, am besten saisonal, am besten
regional, nicht zuletzt wegen der Frische, am besten
«bio» und am besten mit täglicher Abwechslung.
Dabei sollte man folgendes beachten, damit man die größtmögliche Portion der wertvollen Pflanzenstoffe abbekommt:
Bunt und vielseitig essen hält gesund.